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Bischof Mario Melanio Medina zur politischen Situation Paraguay
von Diario ABC – Color/Übersetzung Hermann Schmitz
11.12.06     A+ | a-
Der 8. Dezember ist Nationalfeiertag in Paraguay: Die Bevölkerung ehrt  ihre Nationalheilige, die „Jungfrau von Caacupé“. Zigtausende pilgern zur 80 km von der Hauptstadt Asunción entfernten Ortschaft Caacupé, der „spirituellen Hauptstadt des Landes“. Sie erhoffen Beistand und Trost, lösen Gelübde ein  -  manche erwarten Wunder von der „kleinen Jungfrau“. Dies umso mehr, als die wirtschaftliche Notlage in Paraguay sich immer mehr verschärft:
Ein Drittel der Bevölkerung überlebt irgendwie unterhalb der Armutsgrenze, was in Paraguay ein “Einkommen” von weniger als 1 Euro täglich bedeutet  -  60 % der Paraguayer gelten als “arm”, und diese Armut  ist eine weit schärfere und demütigendere als hierzulande.
Derweil bereichern sich die Mächtigen weiterhin schamlos, Korruption, Vetternwirtschaft, eine käufliche Justiz und verbreitete Straflosigkeit  -  ohnehin allesamt paraguayische “Markenzeichen”  -  nehmen zu, und der Präsident entwickelt eine schier diktatorische Machtfülle. Außerdem bereitet er gerade eine Verfassungsänderung (eher einen Verfassungsbruch) vor, um seine Wiederwahl 2008 zu betreiben.
Vor einigen Tagen wurden die Inhaber des Supermarktes in Asunción, der im August 2003 brannte und aufgrund des kriminellen Handelns seiner Besitzer 400 Menschen in den Tod riss, zu nur 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Dies hatte einen Massenwutausbruch der Menschen zur Folge, wie ihn die paraguayische Hauptstadt lange nicht erlebt hat. In dieser angespannten Lage haben natürlich die Äußerungen der Kirchenvertreter besonderes Gewicht:"Bischof Mario Melanio Medina" , einer der “progressiven” des Landes (sofern diese Spezies überhaupt noch vorkommt), hat in seiner Messe am Tag der hl. Jungfrau von Caacupé außergewöhnlich deutlich Stellung gegen die Politik der Herrschenden bezogen.  Und er hat die Menschen aufgefordert, sich stärker zu wehren:  zu protestieren, rebellieren und  demonstrieren (“ ...protestar, rebelarse y manifestarse ....”).
Dazu ist er von der größten paraguayischen Zeitung “ABC-Color” interviewt worden:

ABC:
Es ist lange her, dass wir einen Bischof in einer Messe verkünden hören, die Leute sollten demonstrieren, sich gegen die Macht auflehnen ...
Was bedeuten diese Äußerungen?

Medina:
Ich bin ganz einfach gewillt, die Dinge beim Namen zu nennen. Der Machtmissbrauch, den diese Leute treiben, ist exzessiv, erst recht, wenn wir unsere Mitbürger auf dem Land und in der Stadt leiden sehen, wie sie immer weiter ins Elend gedrückt werden. Die (Herrschenden) sind schuld an dem riesigen kulturellen, sozialen und zivilgesellschaftlichen Rückstand, den wir erleben.

ABC:
Und Caacupé erschien Ihnen als geeigneter Ort für diese Äußerungen?

Medina:
Was ich sagte, wird sicherlich kaum diejenigen beeinflussen, die die Macht in Händen halten, die werden eher lachen, es als eine Anklage ohne jedes Fundament bezeichnen. Dennoch muss es gesagt werden. Wir dürfen nicht länger schweigen. Wir müssen gegen diese schlimme Lage das Wort ergreifen.

ABC:
Der Abgeordnete Maciel Pasotti hat Sie ja sogleich aufgefordert, sich auf die politische Ebene zu begeben.

Medina:
Aristoteles meinte, der Mensch sei von Natur ein politisches Wesen, allerdings in des Wortes reinster Bedeutung, weil er das allgemeine Wohl genau so wie sein eigenes zu bedenken hat . Die Politik ist die Kunst, das Gemeinwohl unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit und Gerechtigkeit zu behandeln und zu verwalten.

ABC:
Sie betrachten sich also als “político” (Politiker, politisch)?

Medina:
Ich bin ein politischer Mensch! Und kein "politiquero"” (machtgieriger Politiker),
der will ich auch gar nicht sein! Ich identifiziere mich mit keiner Partei, bin aber gleichwohl politisch. Ich bin Bischof, ich erlebe täglich das Elend des Volkes und muss diese Erfahrungen unserer Leute angesichts der Verschwendungssucht und des Missbrauchs unserer Herrschenden zum Ausdruck bringen. Viele protestieren verdeckt, andere geben auf  -  aber ich will mich zu den Dingen äußern.

ABC:
Man hat Ihnen bedeutet, Sie nutzten die Kanzel, um Politik zu machen.

MEDINA:
Ja, ich habe zum Protest aufgefordert und gesagt, ich würde mich in die erste Reihe einer großen Kundgebung gegen die Wiederwahl des (Präsidenten) Nicanor Duarte Frutos stellen.
Ich habe unsere sozialen Organisationen aufgefordert zu mobilisieren, ebenso die Vereinigungen der Bauern, der Lehrer, der Ehrenamtlichen, der Sozialpastoral, etc., um eine große Kundgebung zur Ablehnung dieser Pläne zu veranstalten. Ein ganzes Netz von Organisationen und Gruppen, die nicht nur die Unfähigkeit dieses Präsidenten anprangern, sondern auch die Unzulänglichkeit der Legislative und die Unterwerfung unserer Justiz unter die Exekutive. Keines der staatlichen Organe erledigt seine Aufgaben wie es sein müsste.

ABC:
Was ist Absicht Ihres Aufrufs?

Medina:
Nun, es geht darum zu zeigen, dass unser Volk nicht die Arme verschränkt angesichts der amtlichen Propaganda, angesichts der Lügen, der Schamlosigkeiten und Manipulationen, der Verweigerung eines angemessenen Etats für Bildung und "Gesundheit". Im Gegenteil erhöhen sie den Verteidigungsetat mit der Ausrede eines Krieges mit Bolivien, das ist abssolut lächerlich.

ABC:
Es wird angeführt, dass Bolivien aufrüstet.

Medina:
Das sind pure Mutmaßungen, reine Propaganda, um abzusahnen. Sie wollen uns von den wahren Problemen des Landes ablenken und stattdessen den Verteidigungsetat erhöhen. Wie kann sich ein Land, das in Elend und Unsicherheit lebt, den Luxus leisten, in die Verteidigung zu investieren, für einen imaginären Krieg?! Was wir derzeit in unserer Region erleben, sind stattdessen große Bemühungen um eine Integration der Völker, das gilt es zu unterstützen, statt uns in die Isolation zu treiben, wozu sie uns immer gezwungen haben.

ABC:
Warum ein “Nein zur Wiederwahl”?

Medina:
Weil Duarte Frutos es nicht verdient.   “An ihren Werken sollt ihr sie erkennen”, sagt die Bibel. Nicanor müsste das eigentlich gut wissen, wo er doch zur (evangelischen Sekte) “Raíces” (Wurzeln) gehört. “Von einem Baum erntet man die guten Früchte” (span. frutos), nur dass dieser “Frutos” (Nachname des par. Präsidenten) überhaupt keine Früchte hervorgebracht hat ..... Die Wiederwahl hat den Zweck, die eigenen Machenschaften und das Handeln der politischen Kumpane zu verbergen.
Der Dreck soll nicht ans Tageslicht.
Eine Wiederwahl ist für einen Präsidenten, der seine Sache gut macht. Im Übrigen ist in unserer nationalen Verfassung von der Möglichkeit einer Wiederwahl keine Rede.

ABC:
Sie meinen, die Korruption soll verborgen werden?

Medina:
Aber was denn sonst?! Sollten sie dieses Ziel nicht erreichen, werden sie mit Sicherheit einen der ihren als Kandidaten nach oben katapultieren, um ihre Privilegien, um die Straflosigkeit zu erhalten.

ABC:
Aber ist es nicht so, dass Sie ihm bei Amtsantritt 2003 mehr zugetraut hatten?

Medina:
Nun gut, damals schien es uns, als sei er einer, der die Geschichte des Autoritarismus und der Diktatur der Coloradopartei (seit 60 Jahren herrschende Partei in Paraguay) ändern könnte, aber er hat uns getäuscht. Es wurde wieder dasselbe ....

ABC:
Wie beim “stronismo” ?   (“Stroessnerismus”, pol. Linie unter der Stroessnerdiktatur)

Medina:
Nicanor Duarte Frutos war kein Vertreter des “wilden stronismo” jener Zeit. Aber er kam an die Macht, indem er sich durch seine Umgebung anregen ließ und sich anpasste. Durch die Machtgier, die Raubtiermentalität dieser Leute  -  so wie bei diesen Schmugglern von Mehl, Whisky, Zigaretten, “Holz”, Tieren, und was immer ihnen in die Hände fiel. Und die sich uns heute als große, mächtige Politiker präsentieren wollen.

ABC:
Das war der “Preis für den Frieden”, wie sie es nannten.

Medina:
Er schien anders, und daher verstehe ich diesen beinahe krankhaften Machtdurst nicht, diesen unmäßigen Ehrgeiz, den dieser Präsident jetzt an den Tag legt . Besessenheit vernebelt.
In diesem Sinne wurde aus ihm ein einfacher und vulgärer “stronista”, begierig auf seine Wiederwahl, obwohl er genau weiß, dass die Verfassung diese verbietet.
Das zu sehen, tut vielen weh, und wir fordern ihn auf, sich zu korrigieren und zu schauen, ob er noch einmal Vertrauen beim Volk zurück gewinnen kann.

ABC:
Seit 60 Jahren sind die Colorados an der Macht ...

Medina:
Ja, 60 Jahre, und das ewig gleiche Spiel: Ein Präsident, der sich mit Speichelleckern umgibt, Adlaten und hörigen Dienern, die ihn dazu verlocken, die Verfassung zu brechen. Ganz offensichtlich korrumpiert und zerstört Macht, wenn sie ohne jede Tugend ausgeübt wird. Einige Juristen warnen schon vor einer neuen Art Totalitarismus, die Militärdiktaturen sind am Ende, jetzt wollen sie uns eine zivile Diktatur aufzwingen. 60 Jahre Coloradopartei haben uns nichts als Ausplünderung, Schulden und Elend gebracht.

ABC:
In einem Land, so reich an "Ressourcen", wie man sagt ....

Medina:
60 Jahre sind wirklich genug ...... Jetzt sollen ja die Verträge von Itaipú und Yacyretá (Kraftwerke) neu verhandelt werden, aber auch dann werden sie nicht dem Wohle unseres Volkes dienen. Wenn wir nicht das bekommen, was uns aus diesen Kraftwerken gerechterweise zusteht, dann doch nur wegen der Unehrlichkeit unserer eigenen Regierenden, die da mit den Brasilianern und Argentiniern faule Kompromisse aushandeln. Ich selbst habe brasilianische Parlamentarier sagen hören, dass die paraguayischen Behörden bestechlich sind und es sehr leicht sei, mit ihnen zu “handeln”. Wenn unsere Erlöse, z. B. aus Itaipú, gut verwendet würden, könnten wir 6 Millionen Einwohner dieses Landes bequem leben.

ABC:
Hat irgend etwas Sie besonders empört, als Sie in der Messe die Leute zum Protest aufriefen?

Medina:
Mein Blut gerät immer in Wallung, wenn  ich Tag für Tag diese Ungerechtigkeiten erlebe. Zwischen 2005 und 2006 habe ich in meiner Diözese Misiones und Ñeembucú 26 von insgesamt 30 Pfarreien besucht, insbesondere die "Erziehungseinrichtungen". Nichts von dem, was gesetzlich vorgeschrieben ist, existiert da tatsächlich.

ABC:
Wie meinen Sie das ?

Medina:
Zum Beispiel werden Lehrer einfach nicht bezahlt, oder das Gesetz der automatischen Pensionierung wird nicht erfüllt. Es gibt andere, reichere Departamentos, in denen schon das Gesetz der Soja – Multis herrscht und wo kaum noch Paraguayer zu sehen sind.

ABC:
Sind die vertrieben worden?

Medina:
Nicht mal “dürre Köter oder Bananenstauden” sind da zu sehen, nur riesige Silos, verwaltet von Brasilianern. Wie soll einem da nicht das Blut in Wallung geraten?! Sie sorgen dafür, dass wir unsere Ernährungssouveränität verlieren, unsere letzte verbliebene Tradition der Selbstversorgung. Das “Indert”-Ministerium
(M .für Landreform) erklärt derweil, dass kein Geld vorhanden sei, um Land zu kaufen, und treibt so Campesinoorganisationen dazu, sich gegenseitig zu bekämpfen. Wir müssen aufpassen, dass die "Campesinos " sich nicht radikalisieren. Wenn bei den Friedfertigen die Wut ausbricht, wird das schrecklich.

ABC:
Der Zornesausbruch am letzten Dienstag, das war einen Tag nach Ihrer Messe.

Medina:
In der Tat ....Ycuá Bolaños. (2003 waren durch Schuld eines Supermarktbesitzers  400 Menschen verbrannt, er wurde zu nur 5 Jahren Gefängnis verurteilt)
Das war eine extreme Reaktion, aufgrund des Fehlens einer wirklichen Gerichtsbarkeit, das empört die Menschen, reizt sie und führt zur Rebellion und kann sogar zu massiven "Aufständen " führen, wie wir es diese Woche erlebt haben. Das Urteil der Richter wurde sehr in Frage gestellt.
Neulich nahmen Richter des Obersten Gerichtshofes an einem Gelage des (Coloradoabgeordneten) Galaverna teil  -  so ging das immer und darf niemanden wundern, denken Sie doch an die 60 Jahre Vetternwirtschaft, Klüngelei und Saufgelage.

ABC:
Kann die  Einmischung von Monseñor "Lugo "  eine Antwort darauf sein?
(Der emeritierte Bischof Fernando Lugo ist potentieller Präsidentschaftskandidat für die Wahlen 2008, er ist noch bei der Entscheidungsfindung, außerdem ist noch nicht klar, wie Rom und die Kurie sich dazu stellen. Lugo hat ohne Wahlkampf in den letzten Umfragen bereits die Mehrheit der Stimmen prognostiziert bekommen. Den meisten pol. Beobachtern gilt er als der einzige Kandidat, der die verschiedenen oppositionellen Gruppen einigen könnte und eine reelle Chance hätte, die Coloradovorherrschaft zu durchbrechen)

Medina:
Ich glaube, jeder kann sich an der Politik beteiligen. Ich glaube wohl nicht daran, dass Rom ihn in den Laienstand versetzt. Ob er eine Chance hat, weiß man nicht, es gibt dazu keine Rechtssprechung. Gleichwohl finde ich seine Einmischung gut, um die Leute ein wenig wach zu rütteln. Insofern hat er etwas sehr Wichtiges gemacht.

ABC:
Er hat in ein Wespennest gestochen ....

Medina:
Er hat bei Politikern, bei den Menschen im Land, sogar bei der paraguayischen Bischofskonferenz Aufsehen erregt. Ganz eindeutig hat Lugo
ein sehr erstarrtes, konformistisches und vergiftetes Umfeld gestört, insofern war das schon sehr gut.

ABC:
Die Colorados haben sofort Verleumdungen gegen ihn lanciert.

Medina:
So betreiben die Politik, auf der Basis von Diffamierungen und Lügen gegen den politischen Gegner, erst recht wenn der in der Lage ist, sie herauszufordern, und wenn er nicht aus ihrem Schweinestall ist. Wir sind noch Lichtjahre davon entfernt, eine politische Praxis wie in entwickelten Ländern zu erreichen. Ganz im Gegenteil schätzt man hier ganz eindeutig die "geistige Unterentwicklung" .

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